La Provence – oft genügt nur schon dieser Name und die Vorstellungskraft erzeugt Bilder endloser Felder blühenden Lavendels, von Platanen und Zypressen gesäumte Landstrassen im Schatten der mächtigen weissen Kuppe des Mont Ventoux. An die malerischen Dörfer und an die Städte denkt man oft nur zweitrangig. Avignon, Nîmes, Marseille und irgendwann vielleicht auch Aixen Provence. Die ehemalige Hauptstadt der Provence erwacht nur langsam aus ihrem Schattendasein. Aix, das ist die Stadt, in der Paul Cézanne geboren wurde und die er gemalt hat;
«Die gute Stadt» nannte Paul Cézanne seine Heimat in einem Brief an den Romancier Émile Zola, «Königin der Provence» in einem anderen.
Und wahrhaft königlich mutet sie auch an, die Stadt, mit ihren Prachtstrassen, ihren herrschaftlichen Palästen und den über hundert Brunnen. Die aristokratische Vergangenheit und der überbordende Reichtum, den Aix im 17. und 18. Jahrhundert genoss, verfolgt einen im barocken Stadtbild auf Schritt und Tritt. Genauso wie die Spuren von Cézanne, der wie kein zweiter hier gewirkt hat. Sein ehemaliges Atelier lässt sich heute noch besichtigen; seine Werke beherbergt heute das Musée Granet, das als eines der schönsten Museen Frankreichs gilt. Besonders das Umland hatte es dem 1839 geborenen Künstler angetan: Die Montagne Sainte-Victoire, jener imposante Gebirgszug, zu dessen Füssen die Stadt ruht, wird immer wieder Motiv von Cézannes impressionistischen Gemälden. Seine zerklüfteten Wände sind für ihn die Verkörperung dessen, was gemeinhin als das berühmte «Licht des Südens» gilt. Die zeitlose Eleganz von Aix zeigt sich auch in der imposanten Kathedrale Saint-Sauveur, welche die Baustile mehrerer Jahrhunderte in sich vereint; oder im Pavillon de Vendôme, einem Musterbeispiel des barocken Adelspalais. Die Stadt ist alt und jung zugleich. Dank der renommierten Universität mit ca. 40 000 Studenten gibt es ein breit gefächertes kulturelles Angebot und eine breite Palette an Ausgehmöglichkeiten.
Der jugendliche Esprit, von dem die alte Stadt merklich beseelt ist, wird nun mehr und mehr auch in kulinarischer Hinsicht spürbar. Worin besteht denn nun diese neue «Cuisine aixoise»? Grundlage ist und bleibt die klassische provenzalische Gemüseküche. Traditionelle Gerichte wie Ratatouille, Soupe au pistou, Salade niçoise oder Aïoli verdanken ihren Ursprung einem scheinbar unbegrenzten Überfluss an Früchten und Gemüse.
Die Umgebung von Aix ist ein einziger grosser Gemüsegarten, dessen Erzeugnisse täglich auf den Märkten der Stadt landen.
Auf der Place Richelme lockt jeden Tag eine Fülle von Auberginen, Artischocken, Peperoni, Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch und Zucchini. Zitronen, Orangen, Aprikosen und Mandeln verbreiten einen betörenden Duft, der einzig durch das würzige Bouquet von Lavendel, Rosmarin, Thymian, Salbei, Lorbeer und Bohnenkraut übertroffen wird. «Les herbes de Provence» – hier würzen Kräuter alles, sei es direkt oder indirekt, wie etwa beim höchst aromatischen Lammfleisch aus Sisteron oder der fast unendlich anmutenden Auswahl an Ziegenkäse: Es sind die Kräuter auf den Weiden, die von den Tieren gefressen werden und die den Produkten schliesslich ihren unvergleichlichen Geschmack verleihen. Jeden Samstag erstreckt sich zudem der grösste Markt in der Region vom Cours Mirabeau bis in den Cours Sextius.
Von bodenständig bis gehoben – an der Place des Cardeurs reiht sich ein Restaurant an das andere.
Fundament einer jeden guten Küche bilden erstklassige Zutaten. Da sind nur schon die Tomaten, etwa die «Coeur de Boeuf»: saftig-rot, dickwandig und fest; es genügen nur ein paar Flocken Fleur de Sel, um ihr ihren einzigartigen Geschmack zu entlocken. Wer es etwas raffinierter bevorzugt, bestellt im Restaurant «MITCH» ein Gericht, das zwar auch nur aus Tomaten besteht, dafür in jeder fast erdenklichen Variation. Geschmort als lauwarmes Ragout, im Ganzen, leicht in Essig mariniert, als Püree, als Espuma und als Essenz. Und da ist sie nun, diese neue, junge Küche. Die bewährten hochwertigen Produkte aus der Region bleiben als Grundlage erhalten, doch sie werden nun überraschend kombiniert und zubereitet. Auch im «Esprit de la Violette» wird eine Variation von der Tomate serviert, Küchenchef Marc de Passorio reicht dazu allerdings lauwarme King Prawns an Kokosessenz und einer leichten Vinaigrette. Es waren grosse Fussstapfen, in die de Passorio vor drei Jahren mit seinem Restaurant getreten ist, galt doch dessen Vorgänger Jean-Marc Banzo mit seinem «Le Clos de la Violette» vielen als eine der besten, wenn nicht die beste kulinarische Adresse der Provence. Dessen Tradition einer ausgeklügelten und hochstehenden Cuisine provençale wird jedenfalls gradlinig weitergeführt. Gleichwohl ob gebratene Meerbrasse an Schaum von schwarzem Knoblauch und Kräuterseitlingen, eine zwölf Stunden sous vide mit Rosmarin gegarte Tranche vom Iberico-Schwein mit Quitte und Jasminblüten oder eine mit Lardo und Rosmarinjus verfeinerten Entenbrust; auf den Teller gelangen immer auch auserlesene Gemüse, wie etwa ein Püree von La-ratte-Kartoffeln, das an Intensität kaum zu überbieten ist. Auch Ratatouille darf nicht fehlen, allerdings gelangt es hier in Gestalt einer Sauce zu einem lauwarm marinierten Lachsfilet mit einem Granulat von Melasse, Wacholder und Bergpfeffer. Diese saisonale und regionale Spitzenküche ist seit 2015 mit einem Michelin-Stern prämiert.
Wer es etwas klassischer bevorzugt, dem seien die zahlreichen Brasserien und Strassencafés am Cours Mirabeau empfohlen, dem Aixer Prachtboulevard schlechthin, wo es sich trefflich flanieren oder das Geschehen betrachten lässt. Etwa im berühmten «Les Deux Garçons», das seit 1792 existiert und Paul Cézanne und Émile Zola zu seinen Stammgästen zählen durfte. Hier gibt es täglich eine frische Auswahl an Meeresfrüchten, besonders die Platte mit verschiedenen Austernsorten lässt Gourmetherzen höher schlagen. Falls danach noch Platz für ein Dessert ist, empfiehlt sich ein Gang über die Strasse, wo die Traditionsconfiserie Béchard ansässig ist, ihres Zeichens eine der besten Adressen für die berühmten «Calissons d’Aix». Diese oval geformte Leckerei mit glänzendem Zuckerguss und Mandelmasse mit dem süss-säuerlichen Aroma kandierter Früchte soll es schon seit dem Jahr 1473 geben, wo sie anlässlich einer königlichen Hochzeit in Aix aufgetragen wurden. Und auch wenn sie heute weit über die Grenzen Frankreichs hinaus erhältlich sind: Die echten Calissons dürfen ausschliesslich innerhalb der Stadt hergestellt werden. Und wer diese als süsses Souvenir nach Hause nimmt und dort genüsslich hineinbeisst, dem wird er wohl bald fehlen – der echte Geschmack von Aix-en-Provence.
«Bistronomie», das ist der Trendbegriff, der seit kurzem durch Frankreichs Restaurantszene geistert. Die Wortschöpfung aus «Bistro» und «Gastronomie» lässt sich kaum besser erklären als anhand des Vintrépide. Höchste Qualität in legerem Ambiente, wo man steife weisse Tischdecken vergeblich sucht, dafür aber Leidenschaf für frische regionale Produkte findet. Küchenchef William und Sommelier Eric setzen diese Philosophie höchst ambitioniert und kreativ um: Bei einem Besuch in der Trüffelsaison servieren sie Käse-Espuma mit Burgundertrüffeln, gebratene Jakobsmuscheln im Speckmantel, dazu gegrillte Steinpilze mit Trüffeln auf Topinambur-Emulsion. Vorab ein Carpaccio von der Jakobsmuschel mit im Mund zerspringenden Perlen aus Calamansi-Orangen. Auf die Taube im Blätterteig mit Dörraprikosen, Foie Gras, Haselnüssen und Mangold folgt eine dekonstruierte Tarte au citron, sprich eine Zitronentarte, die kunstvoll in ihre Einzelteile zersetzt und raffiniert als neues Gericht auf den Tisch kommt. Das klingt abstrakt, schmeckt aber köstlich. www.vintrepide.com