Meine Schwiegergrossmutter hiess Adele. Sie stammte aus gutem Haus und war Sächsin. Und wenn man sie besuchte, war immer Apérozeit. «Ich habe noch eine angerissene Flasche Sherry im Kühlschrank und einige Oliven. Kommt Kinder, setzt euch.» Anfänglich war mir der berühmte Sherrygeschmack und -duft fremd, zu ungewöhnlich war er für mich. Aber mit der Zeit habe ich mich an ihn gewöhnt, ihn schätzen und lieben gelernt. Und heute, da fehlt auch in meinem Kühlschrank die angerissene Flasche nie. Adele sei Dank, sie hat mir den Zugang zum besten Aperitifwein der Welt eröffnet.
Sherry wächst trotz seines englischen Namens in Andalusien, im Süden Spaniens auf den blendend weissen Albarizaböden, die aus harter Kreide bestehen und das Wasser so gut speichern können, dass die Reben auch in den backofenheissen Sommern nicht verdursten. Palomino, die Rebsorte, die hier wächst, liebt das trockene und heisse Klima des Südens, ist aber, als Tafelwein ausgebaut, eher flach und nichtssagend. Ihre wahre Stärke offenbart sie erst durch das, was der Mensch aus ihr macht.
Der junge Wein wird nach ein bis zwei Jahren in nur zu drei Vierteln volle Fässer umgefüllt und leicht mit Alkohol angereichert. Jetzt hat er etwa 15 bis 15,5° Alkohol. Und an seiner Oberfläche bildet sich der Flor «die Blume», eine bis zu zwei Zentimeter dicke Schicht aus hefeähnlichen Pilzen, die den Wein vor Oxidation schützt und ihm sein unverwechselbares Aroma schenkt. So ruht er für etwa zwei Jahre, dann kommt er in die Solera, das heisst auf einen Stapel von drei bis vier Fasslagen. Aus der untersten Lage entnimmt der Kellermeister alle drei bis vier Monate den fertigen Wein und füllt aus den darüberliegenden Fässern den «Verlust» wieder auf. In den so abgezogenen Flaschen kann sich also auch noch sehr alter Wein befinden. Einen Jahrgangssherry gibt es deshalb logischerweise nicht. Und wenn auf einer Flasche steht «Solera 1847» so heisst das nicht etwa, dass dieser Wein aus dem Jahre 1847 stammt, sondern dass die ganze Solera im Jahr 1847 angelegt wurde. Und vielleicht haben wir in der Flasche tatsächlich noch einige Tropfen, die wirklich aus dem vorletzten Jahrhundert stammen.
Meiner Schwiegergrossmutter wäre das allerdings herzlich egal gewesen. Sie genoss die angerissene Flasche und wurde fröhlich über neunzig Jahre alt.
Annemarie Wildeisen: Meines Wissens ist Sherry nicht gleich Sherry. Da gibt es grosse Unterschiede in Stil, Herkunft und natürlich Qualität. Kannst Du uns da etwas Ordnung ins Ganze bringen?
Beat Koelliker: Gerne. Üblicherweise ist Sherry trocken, ja sogar knochentrocken und wird ausnahmslos aus der Palominotraube gekeltert. Er heisst dann Fino und kann sowohl zum Apéro wie auch zum Essen genossen werden. Wunderbar passt er zu Meeresfrüchten, aber auch zu spanischem Schinken.
Mir schmeckt besonders der Manzanilla, ist das nicht auch ein Fino?
Ja und nein. Denn dieser Fino aus der Gegend von Sanlúcar de Barrameda ist zwar ein Fino, heisst aber nicht Fino, sondern Manzanilla. Er ist deutlich von der Nähe des Meeres geprägt und etwas feiner und frischer als der normale Fino. Man findet oft Noten von Salz und Jod in ihm. Für mich persönlich ist er als Aperitif der Favorit. Er passt aber auch hervorragend zum Essen, vor allem zu Fisch und Meeresfrüchten.
Wenn das so hervorragende Aperitifs sind, warum sind sie dann kaum mehr bekannt?
Ja, das weiss ich auch nicht so recht. Auch beim Wein gibt es halt Moden und der Sherry ist definitiv ausser Gefecht. Unsere Grossmütter und -väter haben ihn noch geschätzt, jetzt ist er halt weg vom Fenster. Dafür bekommt man für relativ wenig Geld hervorragende Qualität.
Wir sprechen immer von den trockenen und den zum Aperitif geeigneten Weinen. Meines Wissens ist das aber noch lange nicht alles.
Bleiben wir zuerst bei den Weinen aus der Palominotraube, da gibt es zwei Typen, die beide komplexer und reichhaltiger sind als ein Fino: Amontillado und Oloroso. Der Unterschied ist, dass Amontillado zwar unter Flor gereift ist, sich dann aber ohne Flor weiterentwickelt. Er passt zu vielen spanischen Gerichten.
Und der Oloroso?
Er hatte keinen Kontakt mit der Florhefe, besitzt eine tiefe, altgoldene Farbe, ist geschmacksintensiv und körperreich und passt zu kräftigem Käse und Wild.
Du weisst, ich liebe das Süsse ...
Da kommst Du beim Sherry nicht zu kurz. Sowohl Amontillado wie auch Oloroso gibt es in süssen Varianten. Aber wirkliche Meditationsweine hören auf den Namen Pedro Ximénez, oder einfach PX. Sie werden aus der gleichnamigen Traube gekeltert, sind dunkel, oft fast schwarz, sehr süss und voll.