Sollte jemand dann noch die Frechheit besitzen und von einem lauen Sommerabend und einem kühlen, beschlagenen Glas Rosé schwärmen, dann ist der Religionskrieg erklärt. Rosé könne und dürfe man nicht ernst nehmen, Rosé sei einfach kein richtiger Wein. Punkt! Um diesen Krieg zu verstehen, muss man etwas tiefer in den Charakter des so geschmähten Weines eintauchen:
Im Weinberg wachsen weisse und rote Trauben und daraus macht man weissen und roten Wein. Etwas Drittes gibt es nicht. Aber... wo nimmt dann der Rosé seine schöne und verführerische rosa Farbe her? Man denkt sich, ganz einfach: Indem man Rotwein und Weisswein mischt. Falsch! Genau das ist in der Schweiz und in der EU verboten. Eine Ausnahme allerdings gibt es: Der rosa Champagner wird meistens genau so gemacht.
Ja, und der ganze Rest, die vielen Rosés, die unsere Sommernächte verzaubern? Wie kommen denn die zustande? Sie werden ausnahmslos aus roten Trauben gekeltert. Das Fleisch einer roten Traubenbeere ist nämlich ziemlich farblos, und der Saft, der aus ihr gepresst wird ebenso. Die Farbe kommt aus den Beerenhäuten. Je länger der gärende Saft und diese Häute zusammen «eingeweicht» (der Fachmann sagt, eingemaischt) werden, umso dunkler wird der Wein. Man rührt und mischt, um möglichst viel Farbe und andere Aromastoffe aus den Häuten herauszulösen. Der Alkohol, der sich bei der Gärung bildet, hilft da natürlich kräftig mit. Das kann viele Tage dauern, bis der Kellermeister sagt: «so, jetzt stimmt’s», und den Wein abpresst. Beim Rosé hingegen unterbricht man diesen Prozess schon nach wenigen Stunden. Je nachdem wird der Wein ganz hell, im Extremfall ist er sogar fast weiss, oder er hat erst eine leichte rosa Tönung. Viele Rosés sind dagegen schon auf dem Weg zu einem hellen Rotwein, der allerdings immer noch ein Rosé ist, und deshalb nicht die Tiefe und das Gewicht eines «richtigen» Rotweins besitzt.
Die sogenannten Weinkenner triumphieren: Genau das sagen wir ja, Rosé ist nichts anderes als eine Art kastrierter Rotwein, den man nicht wirklich ernst nehmen kann. Und wir anderen sagen: Gerade deshalb schmeckt er uns! Und genau das ist die Hauptsache: Er schmeckt uns! Und genau deshalb schenken wir uns ein kühles Glas ein und geniessen den Sommerabend. Punktum.
Annemarie Wildeisen: Das mit der Farbtiefe habe ich verstanden, aber es gibt doch Rosés von ganz unterschiedlichen Farbnuancen. Viele sind lachsfarben, tendieren also eher Richtung orange oder apricot, andere sind richtig rosa mit einem Schuss bläulichen Schimmer und dazwischen finden wir alle Schattierungen. Sind das Qualitätsmerkmale?
Beat Koelliker: Keineswegs. Man kann aus fast allen Rotweintrauben Rosé keltern und jede Traube hat andersfarbige Beerenschalen. Ein Maler hätte seine helle Freude daran.
Du sprichst vom kühlen, beschlagenen Glas. Welches ist denn die richtige Temperatur für einen Rosé?
Rosés sind Sommerweine. Und das sagt eigentlich schon fast alles. Man soll sie frisch und gekühlt trinken. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass ein Rosé eigentlich ein Rotwein ist, und viele Roséweine wissen das auch und besitzen einen durchaus ernst zu nehmenden Charakter. Daraus folgt: Je gehaltvoller ein Rosé ist, umso vorsichtiger sollte er auch gekühlt werden. Zu viel Kälte tötet die feinen Aromen.
...und wie steht es mit dem Alkoholgehalt?
Rosés sind gefährlich! Im Sommer ist es warm, auch am Abend. Und der Wein ist so schön kühl und süffig... Aber auch da gilt, Rosés sind eigentlich Rotweine und viele haben einen beträchtlichen Alkoholgehalt. Man merkt das spätestens beim Aufstehen.
Gehen wir noch etwas in die Schweiz, da haben wir doch einen international berühmten Rosé, den Oeil de Perdrix. Kannst Du etwas dazu sagen?
Ja gerne, denn auf ihn sind wir zu Recht stolz. Er wird aus der Rebsorte Pinot Noir gekeltert und besitzt eine hellrote Farbe, welche die Franzosen mit der Augenfarbe des Rebhuhns vergleichen (persönlich habe ich allerdings noch nie einem Rebhuhn so tief ins Auge geblickt). Er stammt ursprünglich vom Neuenburgersee, wird aber auch in anderen Kantonen der Westschweiz angebaut.
Die meisten in der Schweiz getrunkenen Rosés kommen aber aus dem Ausland.
Das stimmt. Ganz vorne liegt Frankreich mit den berühmten Rosés aus Anjou an der Loire und den vielen Weinen aus der Provence. Da liegt auch die Appellation Bandol. Dort, in einem Talkessel östlich von Marseille, wächst nämlich einer meiner Lieblingsrosés, der Bandol Rosé. Er duftet wie der Sommer selbst, nach Pfirsich, Aprikosen und vielen mediterranen Kräutern. Aber aufgepasst, sein Alkoholgehalt erreicht gerne 14%.