Ich liebe Reben, aber hasse den Mehltau. Um mein Haus herum wachsen gefühlt über hundert Rebstöcke. Wenn man aber genau zählt, sind es allerdings gerade mal elf, aber diese elf klettern am Haus hoch, beschatten drei schöne Sitzplätze und schenken uns, falls wir das Rennen gegen die Vögel gewinnen, eine reiche Ernte an weissen und roten Trauben. Normalerweise! Doch letztes Jahr war alles etwas anders: Es regnete und regnete und war kalt. Die Reben setzten zwar schöne Blüten an und wir erhofften uns trotz des Regens doch noch eine reichhaltige Traubenernte. Aber dann geschah das Unvermeidliche: Alle oder besser gesagt fast alle Reben wurden vom Mehltau befallen, die Trauben verkümmerten und von der erhofften Ernte blieb nichts mehr übrig – oder besser fast nichts. In dem traurigen Umfeld gedieh nämlich, wie zum Trotz, eine einzige Rebe ganz besonders prächtig und zeigte im Herbst voller Stolz ihre vor Gesundheit strotzenden Trauben. Diesen Rebstock hatte ich vor Jahren höchst widerwillig in einem Gartencenter gekauft, als einzige Alternative zu einem serbelnden Pinot Noir. Er höre auf den Namen Solaris und sei eine pilzresistente und anspruchslose Pflanze, eine PIWI, die sich hervorragend für meinen Garten eigne, meinte der Verkäufer. Und jetzt zeigte es sich, er hatte ganz offensichtlich recht!
Sogenannte PIWIs erleben gegenwärtig einen richtigen Boom. Es sind robuste Rebsorten, die in hohem Masse resistent sind gegen Pilzbefall. Der Name PIWI bedeutet pilzwiderstandsfähige Rebsorte. Unter diesem Namen werden eine Vielzahl von Neuzüchtungen zusammengefasst, die von sich aus einem Angriff von Pilzen wie dem Mehltau widerstehen können und deshalb wenig oder sogar gar keine Pflanzenschutzmittel benötigen. Langfristig ist ihr Anbau daher für den Winzer ökonomisch interessant und die Umwelt freut sich sowieso.
Die grosse Frage ist natürlich: Können sich die aus diesen Neuzüchtungen gewonnenen Tropfen gegen die Konkurrenz der alten, geschichtsträchtigen Weine durchsetzen?
Ich meine, wir stehen vor einem tiefen und vielleicht sogar historischen Umbruch. Noch sind die PIWIs ein Nischenprodukt. Aber sie sind da und werden von Jahr zu Jahr wichtiger und auch besser. Gegenwärtig ist der Rebbau der grösste Verbraucher von Pflanzenschutzmitteln in der EU. Und das wird sich in den kommenden Jahren ändern müssen. Die PIWIs bieten eine Alternative und interessante, neue Geschmackserlebnisse, auf die sich neugierige Weinliebhaber einlassen können. Eine junge Generation könnte da zukunftsweisende Impulse setzen.
Annemarie Wildeisen: Du malst in deinem Artikel eine ganz neue Weinzukunft an die Wand. Welche Weine könnten denn da eine Rolle spielen?
Beat Koelliker: Zuerst muss ich darauf hinweisen, dass PIWI keine irgendwie genormte Bezeichnung ist. Sie erscheint daher auch nie auf dem Etikett einer Flasche. Die Resistenz gegen die Pilze ist auch ganz verschieden und viele dieser Weine sind noch gegen andere Gefahren gewappnet, besonders gegen Frostschäden.
Umso mehr muss man auf die Rebsorte achten, denn diese erscheint ja meistens auf dem Etikett.
Richtig. Bei den Weissen haben vor allem zwei Rebsorten schon eine gewisse Verbreitung erreicht: Solaris und Johanniter. Solaris wurde bereits 1975 gezüchtet, sie ist vor allem in nördlichen Ländern und in Deutschland verbreitet, aber es gibt auch in der Schweiz einige Pflanzungen (zum Beispiel in meinem Garten). Die Weine die - ser auch frost-resistenten Sorte sind fruchtig und frisch. Als zweite Weissweinsorte ist vielleicht der Johanniter zu nennen. Er wurde noch früher, bereits 1968 gezüchtet und gleicht in vielem dem Riesling und dem Ruländer. Er ist fruchtig und hat eine milde Säure. Da er sehr fruchtbar ist, muss man seinen Ertrag streng begrenzen. Er ist vor allem in Deutschland etwas verbreitet, kleine Bestände gibt es aber auch schon in der Schweiz.
Und wie sieht es bei den Roten aus?
Da haben wir als Erstes den absoluten Klassiker der PIWIs zu nennen, den Regent. Er wurde bereits 1967 als erste PIWI-Sorte am heutigen Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof gezüchtet. Heute wird er weltweit auf etwa 2000 Hektar angebaut. Die aus ihm gewonnenen Weine sind farbintensiv, körper- und tanninreich. Sie lassen sich am ehesten mit einem Merlot vergleichen. Auch in der Schweiz ist er mit fast vierzig Hektar vertreten. Ganz ohne Pflanzenschutzmittel geht es allerdings auch beim Regent nicht, trotzdem kann deren Einsatz um etwa 70 Prozent gesenkt werden.
Mit 70 Prozent Reduktion gehen wir doch schon mal in die richtige Richtung. Und hast du noch eine zweite rote PIWI?
Ja, da schwanke ich zwischen zwei in der Schweiz mit Erfolg angebauten Rebsorten: der uralten Maréchal Foch und der neuen Cabernet Cortis. Maréchal Foch ergibt fruchtige Weine auf circa zehn Hektar in der Schweiz. Cabernet Cortis ergibt zwar sehr interessante, an Cabernet Sauvignon erinnernde Weine, bringt es aber in der Schweiz erst auf gerade mal vier Hektar.