Es ist doch schon zwei, drei Jahrzehnte her, dass bei mir und meinen Weinfreunden beim Anblick einer Weinflasche aus dem Südtirol alle Alarmglocken zu schrillen begannen: Massenware aus Vernatsch stand auf dem Warnschild. Tatsächlich, auf jedem Flecken Erde wurden damals Reben gepflanzt und fast ausschliesslich der populäre Vernatsch, von der Ebene bis hinauf in Höhenlagen gegen 1000 Meter.
Dieser Zustand ist ebenso passé wie das Gaslicht in den Stuben der Winzer. Heute dominieren Apfelplantagen die Ebene und in den Höhenlagen über 450 Metern werden andere, vor allem weisse Rebsorten gezogen. Dazwischen aber, auf einem Streifen mit warmem Klima, gedeiht ein ganz neuer Vernatsch, der mit der früheren Massenware nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun hat. Seine Weine sind leicht, frisch, samtig weich, elegant und voller Frucht. Man trinkt ihn jung. Zwei drei Jahre nach der Ernte sollte er weg sein. Und am besten schmeckt er direkt aus dem Keller, also eher kühl, mit 14 bis 16 Grad. Ist er wärmer, so verliert er seinen Charme.
Und noch etwas gefällt uns am Vernatsch: Seine Trauben reifen gerne im Schatten des Blätterdachs unter den Pergolabögen. Die direkte Sonne lieben sie nicht wirklich. Und was wäre das Südtirol ohne die charakteristischen Pergeln an den Weinhängen? Da würde uns doch etwas Entscheidendes fehlen.
Natürlich hat man wie überall in der Welt auch im Südtirol bei der Suche nach Alternativen mit Cabernet, Merlot und Pinot Noir experimentiert. Erfolg hatte man dabei eigentlich nur mit dem Pinot Noir, der in höheren Lagen und besonders im Vintschgau ganz schöne Weine hervorbringen kann. Für viele Weinkenner sind das sogar die besten Pinot Noirs ganz Italiens.
Auf der Suche nach einem körperreichen, dunklen Wein stiessen die Winzer aber auch auf einen weiteren einheimischen Schatz, den ebenfalls autochthonen Lagrein. Vielleicht war er im Südtirol schon lange vor der Vernatschtraube heimisch. Den Bauern war er traditionell zu schwergewichtig, sie haben ihn deshalb vor allem als Rosé ausgebaut. Heute aber macht man daraus dunkle, würzige Weine mit eher mässigem Tanningehalt. So konnte sich der Lagrein zu einem neuen Aushängeschild des Südtiroler Weinbaus entwickeln.
Annemarie Wildeisen: Du beschreibst in deinem Artikel die beiden Rebsorten Vernatsch und Lagrein sehr schön. Mich würde natürlich vor allem auch interessieren, zu welchen Gerichten die beiden doch so unterschiedlichen Weine passen.
Beat Koelliker: Beides sind eigentliche Allrounder: Der Vernatsch als eher leichter, frischer Wein passt hervorragend zu einem Südtiroler Vorspeisenbrettchen mit Speck, Graukäse und Schüttelbrot, zu milden Teigwaren wie Schlutzkrapfen mit Quarkfüllung und natürlich zu jeder Art hellem Fleisch.
... und der Lagrein?
Ihn serviert man am besten zu rotem Fleisch oder auch Wild, vor allem Wildgeflügel, und reifem Hartkäse.
Bei uns kennt man vor allem die beiden von dir erwähnten Rotweine, in Italien selbst wird das Südtirol aber eher als Weissweinland wahrgenommen. Einige Journalisten sprechen sogar vom Elsass Italiens.
Da hast du völlig Recht, vor allem die Burgundersorten Weissburgunder, Grauburgunder und Chardonnay werden immer mehr angepflanzt. Besonders der Weissburgunder ergibt hervorragende Weine, die mit ihrer Frische und Eleganz bestechen. Eine ganz eigene Karriere hat aber der Gewürztraminer im Südtirol hingelegt. Lange dachte man sogar, die Rebsorte stamme ursprünglich von hier. Dem ist leider nicht so. Aber schon seit vielen hundert Jahren gehört er einfach zum Rebsortenspiegel des Landes, im 15. Jahrhundert soll er sogar die meist angepflanzte Rebe gewesen sein. Heute schätzen Kenner seine tiefe Aromatik, die dank der Eleganz der Weine nie zu üppig ausfällt.
Du weisst, ich liebe das Süsse, und da gibt es im Südtirol ja auch noch den Rosenmuskateller und den Goldmuskateller. Kannst du dazu noch etwas sagen?
Ja gerne. Beides sind ausgesprochene Raritäten, aber auch Juwelen des Südtiroler Weinbaus. Die Muskatellerfamilie ist ja riesig und zwei Sprösslinge haben sich auch hier niedergelassen, der weisse und verführerisch fruchtige Goldmuskateller, der meist als Passito ausgebaut wird, und der rote Rosenmuskateller, der tatsächlich einen feinen Rosenduft verströmt.