«Grüner wird’s nümmer», so tönte mein Fahrlehrer jeweils, wenn ich bei grün nicht gleich losfuhr. Das ist lange her, aber «grüner wird’s nümmer» fährt es mir heute, Jahre später, wieder durch den Kopf, wenn ich mir die Rezepte in diesem Heft mit Erbsen, Kefen und Bohnen betrachte. Ja, der Juni ist die grünste Zeit im Jahr und die frisch-knackigen Hülsenfrüchte der eigentliche Inbegriff davon, gewissermassen Juni pur. Und natürlich ist der Frühsommer auch die Jahreszeit für all die wunderbaren Sommerweine mit ihren grünen Noten in Duft und Geschmack, die jetzt ihre grosse Zeit erleben. Wir stellen sie kühl und freuen uns auf ihr Funkeln im Sonnenlicht.
Da sind natürlich all die Weine aus der Sauvignon-Blanc–Traube. Ihre Heimat liegt an der Loire und von da kommen immer noch die Klassiker Sancerre und Pouilly Fumé. Sie duften intensiv und aromatisch nach Grapefruit, Stachelbeeren, frischem Gras und den Blüten von weissem Holunder, manchmal sogar mineralisch nach Feuerstein. Eine rassige Säure gibt ihnen Kraft und Charakter. Heute wird fast überall auf der Welt Sauvignon Blanc angebaut. Berühmt sind die Weine aus Neuseeland, sie sind oft schärfer und erinnern an grüne Paprika und Tomatenblätter. Aber diese Aromen werden gemildert durch üppige tropische Früchte, Melonen, Kiwis und Pfirsiche.
Von unseren Nachbarn im Osten, den charmanten Österreichern, kommt ein ganz besonderes Geschenk, der Grüne Veltliner. Die besten Weine stammen aus dem Kremstal, dem Kamptal und der Wachau. Auch in ihrem Duft finden wir das Grüne, Vegetabile der Jahreszeit: grüne Äpfel, Dill, sogar Gurken, aber auch weiche, an Mandeln und weisse Blüten erinnernde Düfte. Berühmt ist das Pfefferl, eine leicht an Pfeffer erinnernde erfrischende Säure. Unkomplizierteren Weingenuss findet man im sogenannten Weinviertel, dem grössten Weinbaugebiet Österreichs. Hier sind die Grünen Veltliner leichter und süffiger, ideale Durstlöscher für den Sommer.
Natürlich darf in der Liste der Sommerweine unsere Petite Arvine nicht fehlen. Für viele, und ich gehöre dazu, der beste Weisswein der Schweiz. Die Herkunft dieser Traubensorte ist und bleibt rätselhaft, vielleicht brachten sie schon die alten Römer über den Grossen Sankt Bernhard ins Land. Sie wächst nur auf den perfekt nach Süden ausgerichteten Hängen zwischen Martigny und Sion im Wallis. Auch in ihrem Duft findet man viel Grünes, dazu Rhabarber, Zitronen, Quitten, Aprikosen, aber auch süsse Blütendüfte wie Glyzinien und Linden.
Annemarie Wildeisen: Wieso heisst der Grüne Veltliner eigentlich so? Hat er etwas mit dem Veltlin zu tun? Und grün tönt ja auch eher negativ.Beat Koelliker: Mit dem Namen der Reben ist das so eine Sache. Es gibt in Österreich tatsächlich verschiedene Rebsorten mit der Bezeichnung Veltliner: Roter, Frühroter und Brauner Veltliner. Mit keiner dieser Reben ist der Grüne Veltliner aber verwandt. Seine Herkunft bleibt also im Dunkeln und hat auch mit «unserem» Veltlin nichts zu tun.
... und das «grün»?Tatsächlich bedeutet «grün» in der Weinsprache normalerweise einen Wein, der aus unreifen Trauben gekeltert wurde und deshalb hart und unharmonisch wirkt. Das ist hier aber nicht gemeint. Die Bezeichnung «Grüner Veltliner» ist einfach ein Name wie Annemarie oder Beat und bedeutet nicht mehr.
Ich bin glücklich darüber, dass du eine Lanze für die Petite Arvine brichst. Auch ich liebe diesen Wein sehr. Gibt es da nicht auch eine süsse Variante? Doch, und diese gehört zweifelsfrei zu den glanzvollsten Weinen der Schweiz. Die Winzer lassen die Trauben oft bis in den November hinein am Stock hängen, wo sie leicht trocknen. Auf dem Etikett steht dann «flétrie» oder «mi-flétrie» (trocken oder halbtrocken). Die Symphonie aus der machtvollen Aromatik des Weins, seiner kraftvollen Säure, der honigartigen Süsse und ein paar Jahren Reifung spielt dann auf der ganz grossen Bühne der Weinwelt.
Du wirst ja richtig poetisch. Da siehst du, was dieser Wein nicht alles bewirkt.
Etwas ganz anderes: Wir haben in diesem Heft ja auch das Thema Melonen. Halt als Dessert, aber vielleicht hast du ja auch dazu noch eine Idee? Klar. Wir sollten jede Gelegenheit nutzen, um auch die süsse Seite des Weins zu geniessen. Und gerade zu einer schön reifen und duftigen Honigmelone passt ein Gläschen Moscato d’Asti wunderbar. Das sind leicht süsse Schaumweine, die im Piemont aus der MoscatoTraube gekeltert werden und meist nur einen Alkoholgehalt von wenig mehr als 5 Volumenprozent besitzen. Gewarnt sei aber vor dem banalen Industrieprodukt Asti Spumante, das man überall in den Supermärkten zu Spottpreisen finden kann.
Und wie steht es mit den eigentlichen Süssweinen zur Melone? Ich wäre da sehr offen und experimentierfreudig. Meine Mutter pflegte ein Glas Portwein dazu zu reichen. Das passt ebenfalls hervorragend. Aber probiers doch auch mal mit einem süssen Madeira oder einem südfranzösischen Banyuls.