Als Touristen und Wanderer kennen wir alle die Cinque Terre der Riviera di Levante östlich von Genua. Früher wuchs an dieser spektakulären Felsenküste viel Wein, vielleicht sogar zu viel Wein. Heute aber ist der Weinbau nur noch das Hobby einer Handvoll Freaks. Auf nur noch 80 der ehemals 800 Hektaren stehen noch Weinstöcke. Unglaubliche 6700 Kilometer Trockenmauern zeugen aber immer noch von den vergangenen heroischen Zeiten, als hier in jeder Felsenecke ein paar Reben gepflanzt wurden. Kein Wunder, findet man den Cinque Terre (so heisst auch der Wein) heute selbst in der Gegend nur noch selten. Und noch seltener verirrt sich eine Flasche über die Berge zu uns.
Gehen wir also besser in den Westen von Genua, in die Riviera di Ponente, wo wir neben vielen lokalen auch drei Weine finden, die man mit entsprechender Spürnase selbst bei uns entdecken kann:
Der Pigato: Niemand weiss, wie diese uralte weisse Rebsorte den Weg nach Ligurien gefunden hat. Wahrscheinlich haben wieder einmal die Griechen oder die Römer die Hand im Spiel gehabt. Einmal angekommen, hat sie hier aber alle Zeiten überlebt. Ihr Wein duftet reich und voll und erinnert an Wiesenblumen und Mandeln. In unserem ligurischen Menu würde ich ihn zu den Tintenfischen mit Artischocken servieren.
Der Vermentino: Diese Rebsorte ist auch sonst in Italien verbreitet und stammt wohl ursprünglich aus Spanien. Hier in Ligurien aber erbringt sie ganz eigenständige und zu Recht berühmte Weine, die delikat nach mediterranen Kräutern wie Salbei, Thymian und Rosmarin duften. Sie eignen sich sowohl als Aperitif wie auch zu den Dips der Vorspeise.
Der Rossese: Ganz im Westen Liguriens wächst auch ein Roter, der Rossese. Kaiser Napoleon war bei der Durchreise von ihm so begeistert, dass er den Winzern die Erlaubnis gab, auf dem Etikett seinen Namen zu erwähnen (was dann allerdings kaum einer tat). Man trinkt ihn klassischerweise zum geschmorten Kaninchen. Und so wollen auch wir es halten. Jung erinnert er von Ferne an einen guten Beaujolais mit viel Frucht und Saftigkeit. Lässt man ihn etwas länger liegen, so entwickelt er Milde und Eleganz.
ANNEMARIE WILDEISEN UND BEAT KOELLIKER IM GESPRÄCH
Annemarie Wildeisen: Ich bin tatsächlich auch schon durch die Cinque Terre gewandert und da habe ich immer wieder den Namen eines mythischen Weins gehört: Sciacchetrà. Das muss ein Phantom sein, denn gesehen habe ich ihn nirgends und getrunken schon gar nicht.
Beat Koelliker: Das geht fast allen so, die diesen Wein suchen. Denn davon gibt es nur wenig mehr als 5000 halbe Flaschen pro Jahr. Die Trauben werden dafür an einem schattigen Platz im Freien an der Luft ausgebreitet und getrocknet. So konzentriert sich der ganze Gehalt an Aroma und Süsse zu einem unvergleichlichen Nektar. Diese «Rosinen» ergeben dann nur noch etwa die Hälfte des Wein-Ertrags von «normalen» Trauben. Und über den Preis schweigen wir lieber ...
Gut, dann rede ich vor meinem nächsten Geburtstag mal mit meiner Tochter.
Wenn du aber trotzdem einen Süsswein aus Ligurien probieren willst, dann findest du vor allem in der Riviera di Ponente, also im Westen, bei fast allen Winzern auch einen Passito. Die besten werden aus der lokalen PigatoTraube gekeltert und lassen mein Herz höher schlagen. Nur, man findet sie bei uns selten oder nie. Zum Abschluss eines ligurischen Mahls wäre das aber schon das berühmte Tüpfelchen auf dem i.
Dann sitze ich halt vorher ins Auto ... Etwas anderes: Ich glaube mich zu erinnern, dass es in Ligurien auch Spumante, also Schaumweine, geben soll. Stimmt das oder ist das auch nur ein Mythos?
Ja, die gibt es tatsächlich, ich habe auf meinen Reisen durch Ligurien schon ganz verschiedene Spumanti verkosten können und die haben auch durchaus geschmeckt. Das sind aber wirklich eher Nischenprodukte, für die ich jedoch gerne eine Lanze brechen möchte: Ligurien ist von West bis Ost gebirgig und kleinteilig. In jeder Ecke wachsen andere Reben, gibt es andere Traditionen und Spezialitäten. Ja sogar die Leute sprechen von Ort zu Ort einen anders gefärbten Dialekt. Mein Tipp: Wenn man die Weine einer Region verstehen will, so muss man sich aufmachen, das Land bereisen und für Überraschungen offen sein. Deine Idee, ins Auto zu sitzen, ist daher goldrichtig. Nimm aber neben guten Karten und Führern auch genug freie Zeit mit auf die Fahrt.