... auch unter einem «molligen» oder einem «muskulösen». Schwieriger wird es, wenn ein Wein eine «sexy Frucht» haben oder gar «feminin» oder «maskulin» sein soll. Es gibt zum Beispiel Experten, die behaupten, Barolo sei eher männlich, Barbaresco dagegen eher weiblich. Und Barbera oder Dolcetto? Ihre Brüder und Schwestern im Piemont? Etwas dazwischen? Vielleicht. Aber was? Die Gendersprache könnte da ja vielleicht weiterhelfen... Aber diese Spekulationen lassen wir besser. Kürzlich wurde mir in einer Weinkolumne ein Tropfen als ausgesprochen «erotisch» angepriesen. Nach reiflichem Überlegen, was damit wohl gemeint sein könnte, habe ich ihn dann trotzdem nicht bestellt...
Und da wir schon einmal auf heiklem Terrain sind: Von der Rebsorte Pinot Noir habe ich schon mal gelesen, sie sei schwierig, eine «Diva» oder gar eine «Zicke» im Rebberg. Und dann im Glas? Da muss der Wein «sinnlich und verführerisch» schmecken, «so süss und sehnsuchtsvoll wie halb vergessene Erinnerungen an die Sommer der Kindheit». Ok, sagt sich der Marketingexperte. Das gefällt mir. Und die Preisliste passen wir gleich an...
Wein ist ein wunderbares Getränk, er weckt Emotionen und kann einen wie jede sinnliche Erfahrung tatsächlich in «vergessene Erinnerungen» entführen. Und da ist es ganz natürlich, dass poetische Talente geweckt werden. Denn jeder und jede schöpft dabei aus dem eigenen Schatz der Erinnerungen. Ich würde nicht einmal die Ausdrücke der Jugendsprache verurteilen: Ein Wein kann tatsächlich einen Wow-Effekt auslösen. Und nichts spricht dagegen, diesen Effekt auch mit Nachdruck auszusprechen. Diese ganz persönlichen Assoziationen sind nie falsch, ausser wenn dabei die Grenzen des guten Geschmacks oder der «Political Correctness» überschritten werden und diese Grenzen sind ganz offensichtlich fliessend und verlangen ein sicheres Stilgefühl.
Etwas ganz anderes ist es natürlich, wenn man einen Wein objektiv beschreiben will. Das ist vor allem bei Fachleuten der Fall. Und bei denen gelten dann genau standardisierte Kriterien und Regeln: Der Ablauf ist immer der gleiche, nach Farbe, Geruch und Geschmack. Aber auch die dabei verwendeten Fachausdrücke sind weitgehend festgelegt, sodass jeder Leser darunter auch immer das Gleiche versteht.
Annemarie Wildeisen: Du hast das Thema feminine und maskuline Weine angesprochen. Was soll man darunter verstehen?
Beat Koelliker: Solange wir von einzelnen bestimmten Weinen sprechen, kann ich mir darunter schon etwas vorstellen: Ein eher femininer Wein ist elegant, fein, sinnlich, vielleicht sogar schlank. Ein viriler dagegen wohl etwas robuster, tanninreich und kräftig. Aber ich mache da durchaus ein Fragezeichen hinter die beiden Begriffe. Persönlich würde ich sie wohl eher meiden, zu unterschiedlich sind die damit verbundenen Assoziationen.
Heisst das auch, dass die weiblichen Weintrinker eher feminine Weine bevorzugen und männliche die virilen.
Nein überhaupt nicht. Das wäre ja superlangweilig. Ich glaube, jeder hat seinen eigenen Geschmack, und das ist ja gut so.
Man liest aber immer wieder, die Frauen würden anders Wein trinken als die Männer...
Auch da ist meiner Meinung nach viel zu viel Ideologie drin: Männer seien eher Etikettentrinker, sagt man, oder Frauen hätten die besseren Nasen. Meine Erfahrung sagt mir, natürlich gibt es von Mensch zu Mensch ganz unterschiedliche Wahrnehmungen, Vorlieben und Talente, aber ich kenne hervorragende Weinkenner und Weinkennerinnen, ohne dass ich eine Grenze zwischen den Geschlechtern ziehen würde.
Gilt das auch für die Winzerinnen, also die Frauen, die Wein produzieren?
Es gab mal eine Zeit, wo man dachte, die Frauen können viel, aber das Traktorfahren im Weinberg sollten sie besser den Männern überlassen. Diese Zeiten sind glücklicherweise überholt, auch wenn da und dort in den Köpfen noch manches Vorurteil herumspukt. (Auch fünfzig Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz). Der beste Beweis dafür sind die Winzerinnen selbst. Wir haben in der Schweiz einige, die nicht nur national, sondern sogar international in der ersten Liga mitspielen.
Zum Schluss möchte ich noch das leidige Thema Kellner im Restaurant ansprechen. Du weisst, was ich meine.
Ja, aber auch da ändert sich ja etwas. Die Kellner haben erkannt, dass nicht nur die Männer etwas von Wein verstehen, sondern auch die Frauen und fragen höflich nach, wem sie die Weinkarte geben sollen und wer den Wein probiert. Und wenn der Kellner das nicht von sich aus so macht, so ist es ja nie zu spät, ihn daran zu erinnern.