Ein Gläschen oder zwei von diesem kräftigen Trunk und die Sünden des üppigen Mahls waren vergeben. Felsensprenger, das war ein Obstbrand. Die Bauern der Umgebung brachten ihre Fässer mit den vergorenen Äpfeln, Birnen und Quitten zum Störbrenner in seine mobile Brennerei und der waltete dann unter einem Zeltdach im Dunst der Brennhafen seines Amtes. Und heraus kam der Felsensprenger, oder wie mein Schwiegervater zu sagen pflegte, die «Medizin».
Mit fest verschlossenen Augen und zugehaltener Nase habe ich das natürlich auch probieren müssen. Und es hat geholfen! Die moderne Forschung behauptet zwar: Alles nur Einbildung, Placebo, der Alkohol hilft bei der Verdauung überhaupt nicht, im Gegenteil, er entspannt die Muskulatur im Magen und bewirkt damit eine Verlangsamung der Verdauung. So bleibt das schwere Essen nur länger im Magen liegen. Weder ein Klarer noch ein Cognac oder ein Kirsch sind deshalb wirklich Digestive, das heisst Förderer der Digestion, sondern eher umgekehrt deren Hemmer. Trotzdem, mir hat der Felsensprenger gutgetan! Vielleicht auch nur, weil er ein wohlig warmes Gefühl der Entspannung in den leicht überforderten Magen gebracht hat.
Ganz anders sieht die Sache (immer nach der Meinung der Wissenschaft) bei den sogenannten Kräuterbittern aus. Dazu gehört natürlich der König aller Kräuterschnäpse, der Fernet Branca und die freundlicheren Averna oder Ramazzotti. Aber auch Jägermeister und Underberg gehören dazu und alle die vielen Schnäpse, die nach «geheimen» Rezepten in jedem zweiten Dorf im Entlebuch und anderswo aus den einheimischen Kräutern angesetzt werden. Der Alkohol entzieht nämlich die bitteren Inhaltsstoffe sehr wirkungsvoll aus den Pflanzen und diese helfen dann tatsächlich bei der Verdauung, denn sie regen die Produktion von Magensäften und Galle an. Mit dem Alkohol hat das also nur ganz indirekt zu tun. Die Bedeutung dieser Bitterstoffe war schon in der Antike bekannt. Hippokrates hat damit seine Patienten ebenso behandelt wie im Mittelalter die berühmte Nonne und Äbtissin Hildegard von Bingen.
Annemarie Wildeisen: Du schreibst in deinem Artikel nur über Schnäpse, also alkoholische Getränke. Ich trinke nach dem Essen gerne einen Espresso und das hilft mir mindestens so gut wie ein Schnaps.
Beat Koelliker: Da gibt dir sogar die Wissenschaft recht, denn ein Kaffee enthält ebenso wie ein Kräuterschnaps viele Bitterstoffe und die helfen in genau gleicher Weise bei der Verdauung. Aber vielleicht ist dir schon aufgefallen, dass der Effekt bei einem Espresso viel stärker ist als bei einem Filterkaffee. Die Bitterstoffe sind darin halt wesentlich konzentrierter.
Genau, darum liebe ich den Kaffee auch als Ristretto, auf italienische Art. Und wie ist das beim Tee?
Da ist die Sache etwas komplizierter. Beim Brühen des Tees gehen viele ätherische Öle der Kräuter verloren, die im Schnaps erhalten bleiben: Anis, Kümmel, Artischocke, Ingwer und vieles andere. Anders ist es bei der Pfefferminze. Diese ist ein ausgezeichneter Helfer bei der Verdauung.
Also zum Beispiel: Marokkanischer Pfefferminztee.
Genau. Oder das, was die Engländer schon immer mit ihren «after dinner mints» gemacht haben, indem sie nach einem üppigen Mahl Mintdragees oder Schokolade mit Minzefüllung genossen haben.
Mit dem marokkanischen Pfefferminztee sind wir ja schon in den arabischen Ländern. Da reicht man ja nach dem Essen gerne auch in Zucker eingehüllte reine Anissamen, sogenannte Supari ...
Ja, und darin sind die ätherischen Öle auch noch vollständig erhalten und wenn man sie kaut, gehen sie in den Magen und helfen dort bei der Verdauung mit.
... und man hat noch dazu ein frisches und angenehmes Mundgefühl. Ein ganz anderes Thema: Was hältst du vom Trinkessig? Der soll ja auch ganz besonders verdauungsfördernd sein.
Ist er auch. Nur, es sollte wirklich erste Qualität sein und nicht irgendein gewöhnlicher Industrieessig. Dann aber genügen ein paar Tropfen auf die Zunge und man fühlt sich wunderbar erfrischt.
Früher galt jeweils noch das Sprichwort: «Nach dem Essen sollst du ruh’n oder tausend Schritte tun.» Gilt das immer noch?
Ja sicher. Bei einem kleinen Spaziergang vors Haus hält man seinen Verdauungstrakt in Bewegung und hilft ihm, seine Aufgabe zu erfüllen. Nicht so gut ist dagegen richtiger Sport, denn das würde das Blut vom Magen in die Muskeln lenken und das wäre sicher falsch.