Ich erinnere mich noch gut an Spaziergänge mit meinen Eltern durch die Rebberge am Bielersee. Kein Grashalm weit und breit, der Boden fein säuberlich gehackt und nichts als Reben. Und heute? Die gleichen Rebberge sind grün, überall blüht und summt es. Was ist passiert? Damals waren die Winzer noch voll davon überzeugt, dass jedes Kraut im Weinberg ein Unkraut ist und die Rebe konkurrenziert, es musste weg. Man hat gehackt und geschuftet, bis alles sauber war. Später hat man erkannt, man musste gar nicht schuften, Herbizide nahmen einem die Arbeit ab und brannten die Unkräuter einfach weg. Mit den «Unkräutern» starben aber auch alle Käfer und alle anderen Insekten. Der Boden trocknete aus und wenn es dann regnete, riss das Regenwasser tiefe Rinnen in die mehr oder weniger steilen Rebberge. Und im Boden drin, da verkroch sich der letzte Regenwurm und starb. Was aber noch viel schlimmer war, die vielen Millionen von Klein- und Kleinstlebewesen starben ebenfalls. Der Weinberg war zu einer Wüste geworden. Da half auch kein Düngersack mit künstlichem Dünger, die Natur hatte sich definitiv verabschiedet.
Heute weiss man vieles besser: Ein Rebberg ist ein lebendiges Ganzes, in dem vieles zusammenpassen muss, damit wir später einen Wein im Glas haben und geniessen, der mehr ist als nur der vergorene Saft von Reben, die in einer Wüste standen und sich von künstlichem Dünger ernährten.
Was aber gehört dazu? Ein Rebberg darf nicht einfach nur eine Monokultur sein. Ein Rebberg ist ein unverwechselbares Stück Natur, das es so nur einmal gibt und in dem die Bewohner des Bodens, die Pflanzen unter den Weinstöcken und zwischen den Rebzeilen und auch die Vögel in der Luft ein Gleichgewicht des Zusammenlebens suchen und finden. Alles das zusammen mit den einmaligen klimatischen Bedingungen und der Zusammensetzung des Bodens nennt man das Terroir. Es schenkt dem Wein seinen von Rebberg zu Rebberg einmaligen und unverwechselbaren Charakter.
Es ist ein grosser Fortschritt (nicht nur im Weinbau), dass dieser Gedanke immer mehr Menschen bewusst wird und der Erfolg von Bioprodukten in den Läden langsam zwar, aber stetig zunimmt. Klar, man muss bereit sein, vielleicht einen kleinen Aufpreis dafür zu bezahlen, aber der Gewinn ist reine Lebensqualität und Genuss pur.
Annemarie Wildeisen: Du sprichst in deinem Beitrag das Thema Düngung an. Was kann denn der Winzer gegen die Verarmung der Böden unternehmen? Er trägt ja jedes Jahr Tonnen von Trauben aus dem Weinberg in seinen Keller. Und verringert dadurch die Substanz des Bodens.
Beat Koelliker: Natürlich stimmt das. Aber der Weinbauer kann wenigstens alles das, was an sogenanntem Abfall im Weinberg anfällt, in der Natur belassen. Und das machen ja viele Rebbauern auch. Sie häckseln die beim Rebschnitt anfallenden Ruten und lassen sie auf dem Boden liegen, sie schneiden das Reblaub zurück und räumen nachher nicht auf und sie bringen nach der Pressung im Keller die ausgepressten Beerenhäute und -kerne wieder in den Weinberg zurück. Das alles hilft dem Leben im Boden und verringert die Erosion.
...und das im Herbst abgestorbene Gras wirkt wie ein natürlicher Mist.
Genau. Man kann ja, wenn man will, auch ganz bestimmte Samenmischungen ausbringen und die Kräuter dann als Mulch in den Boden einarbeiten. Trotzdem gibt es immer noch viele Winzer, die im Winter oder Vorfrühling das beim Rebschnitt anfallende Schnittholz einfach verbrennen. Das ist eigentlich unverständlich.
Ein wichtiges Thema, von dem man immer wieder liest, ist die Bewässerung...
Da muss ich etwas ausholen. Wenn sich ein Rebbauer dazu entschliesst, mit Kunstdünger zu arbeiten, so ist er fast gezwungen, auch zu bewässern, denn der Dünger ist in der Regel wasserlöslich und die Pflanze kann ihn nur aufnehmen, wenn er in Wasser gelöst ist. Aber ganz unabhängig vom Dünger braucht die Rebe natürlich Wasser und danach sucht sie in der Tiefe des Bodens. Je tiefer sie dabei vordringt, umso komplexer wird nachher der Wein. Aber die Rebe ist ja nicht blöd, wenn sie Wasser auch an der Oberfläche findet, warum soll sie sich dann die Mühe machen und in die Tiefe graben. Dann dreht sie ihre Wurzeln einfach nach oben um, dem Wasser zu.
Das leuchtet mir für alte Reben durchaus ein, aber eine junge Pflanze hat noch keinen Zugang zu tiefem Grundwasser.
Da ist die Situation natürlich etwas anders. Deshalb gilt auch bei diesen Fragen: Man muss die einzelne individuelle Lage genau ansehen und gleichzeitig auf die Natur und den gesunden Menschenverstand hören.