Zwar beginnt die eigentliche Fastenzeit erst nach Aschermittwoch, aber so lange mögen wir nicht warten. Wir fasten jetzt. In früheren Zeiten hatte Fasten noch einen ganz anderen Sinn: Damals ging es nicht um das Leiden nach «guten Tagen», es ging um Askese, Busse und Verzicht. Besonders in den Klöstern war zur Fastenzeit Schmalhans Küchenmeister. Die Teller der Mönche wurden dann nur sehr spärlich gefüllt. Sie litten Hunger, denn sie mussten ja auch körperlich arbeiten, oft hart und schwer. Da war es wie eine Offenbarung, dass für die Fastenzeit der Grundsatz galt: «Liquida non frangunt ieunum» oder zu Deutsch: «Flüssiges bricht das Fasten nicht.» Man konnte also die kargen Mahlzeiten durch gehaltvolle Getränke «ergänzen».
Und an Fantasie hat es den Mönchen nie gefehlt. Der Ordensgründer Benedikt schrieb in seiner Regel den Klöstern vor, autark zu sein und alles, was sie zum Leben brauchten, selber zu produzieren. So entstand im kühlen Norden der Alpen schon früh neben der klösterlichen Wein- auch eine klösterliche Braukultur. Und Bier konnte man stark machen, sehr stark, nahrhaft und kalorienreich. Ein Segen für die vom Hunger geplagten Gottesmänner und die Basis für die vielen berühmten Klosterbrauereien mit ihren Fasten- oder Starkbieren. Sie sind nicht eigentlich ein eigener Bierstil, sondern werden nur durch den höheren Gehalt an Alkohol und Stammwürze bestimmt (Stammwürze ist das, was ausser dem Wasser im Bier noch so alles drin steckt). Bei uns sind vor allem die Bock- und Doppelbockbiere bekannt und beliebt. Aber eigentlich war während der Fastenzeit ja auch der Alkohol verpönt. Fromme Mönche hatten also ein Problem. Verschiedene Geschichten erzählen, dass sie dieses aber ganz elegant an ihren Chef, den Papst in Rom, delegierten und ihm ein Fass starkes Fastenbier zuschickten. Er soll prüfen und entscheiden. Das auf der Reise verdorbene Getränk muss scheusslich geschmeckt haben, jedenfalls entschied der Papst, es sei genau richtig, um ordentlich Busse zu tun...
Annemarie Wildeisen: Der Name Starkbier ist mir vor allem aus Deutschland bekannt, da gibt es doch auch berühmte Feste mit Starkbier.
Beat Koelliker: Ja genau, das berühmteste von allen ist das Starkbierfest auf dem Nockherberg in München. Ein Besuch dort oben gehört zum Jahresablauf der Münchner und aller Touristen wie der Fasching und das Oktoberfest. Dieses Jahr findet es vom 13. März bis zum 5. April statt. Dabei dreht sich alles um den «Salvator-Ausschank».
Salvator??
Ja, so heisst das Bier. Und die Münchner sind überzeugt, dass sie, oder genauer noch, die Münchner Paulaner-Mönche das Starkbier erfunden haben. Es sei der Urvater aller Doppelbockbiere.
Und wie schmeckt das denn?
Es ist in erster Linie mit fast 8% Alkohol für ein Bier sehr stark. Ein «normales» Bier bewegt sich so um die 5% herum. Man muss also schon ein wenig aufpassen, dass man auf dem Nachhauseweg noch zielgerecht vorwärtskommt. Aber schon seine Farbe ist sehr schön und eindrücklich, ein leuchtendes Bernstein- oder Kastanienbraun. Schmecken tut’s leicht süss und malzig, sogar ein bisschen schokoladig. Am besten passt es natürlich zu kräftig-deftiger bayrischer Kost.
Kriege ich das auch in der Schweiz?
Ja sicher, es gibt ja glücklicherweise bei uns immer mehr gut sortierte Spezialläden für Biere.
Seit ein paar Jahren lese ich immer wieder von einer neuen Welle, den Craft Bieren, haben die etwas zu tun mit dem Starkbier?
Nicht direkt. Eigentlich versteht man unter Craft Bier ein handwerklich von einer unabhängigen Kleinbrauerei hergestelltes Bier. Sein Hauptmerkmal ist die Kreativität des Brauers und die regionale Verwurzelung. Darunter können sich auch Starkbiere verstecken, müssen es aber nicht. Die Bewegung ist in den USA in den 80er-Jahren als Gegengewicht zu den industriellen Biergiganten und ihren anonymen, gesichtslosen Bieren entstanden. Auch bei uns in der Schweiz hat sich eine ausserordentlich lebendige Bierszene entwickelt.
Ich habe mal von einem Eisbockbier gelesen, das über 50% Alkohol enthält. Kann das sein?
Man kann tatsächlich ein normales Starkbier so tief abkühlen, dass fast alles Wasser darin zu Eis gefriert. Was dann in diesem Eisblock flüssig bleibt, ist fast nur noch der Alkohol. Ich habe das nie probiert, aber den Weltrekord hält aktuell ein schottisches Bier namens Snake Venom mit 67,5% Alkohol.