Das Rad neu erfinden – das kann auch Oliver Matter nicht. Im Gegenteil:
Der Schnapsbrenner aus dem Berner Seeland ist gerade deshalb so erfolgreich, weil er scheinbar antiquierten Spirituosen genau zum richtigen Zeitpunkt neues Leben einhaucht.
Etwa als 2005 der Absinthe legalisiert wird, beginnt Matter gleich mit zahlreichen Rezepturen zu tüfteln und hat damit durchschlagenden Erfolg. 2009 dasselbe mit dem Gin, als der Wacholderschnaps kurz daraufhin als absolutes Trendgetränk ein Comeback feiert.
Bitter wird nicht gebrannt, sondern entsteht durch Mazeration.
Die Brennerei Matter-Luginbühl wurde 1920 von Ernst Luginbühl-Bögli gegründet und ist ein waschechter Familienbetrieb.
Im Jahr 2005 wurde die Firma an Sohn Oliver Matter übergeben. Er führt die Brennerei mit seiner Frau Nicole nun bereits in der vierten Generation. Das Urprodukt der Distillerie ist Martinazzi Bitter Classic, ein erfrischender Aperitif aus Kräutern und Wurzeln. Dieser Italienisch Bitter wurde erstmals 1864 in Turin hergestellt und wird heute einzig in Kallnach produziert. Dass Matter seinen Wurzeln treu geblieben ist, zeigt sich nunmehr erneut beim Bitter: Denn der herbe Aperitif erlebt zurzeit ein beispielloses Revival. Es ist ein Trend, der ausgehend von den Vereinigten Staaten die Bars dieser Welt erobert – das Aufleben einer längst verloren geglaubten klassischen Barkultur, wie es sie zuletzt im 20. Jahrhundert, in den «Goldenen Zwanziger Jahren», gegeben hat.
Die angesagtesten Drinks hatten zu jener Zeit eine Gemeinsamkeit: Sie enthielten Bitter.
Und mit Bitter kennt man sich in der Brennerei in Kallnach seit jeher aus. Obwohl – gebrannt wird Bitter ja eigentlich nicht, vielmehr entsteht die Spezialität durch die sogenannte Mazeration. Dabei werden Kräuter, Wurzeln, Gewürze und getrocknete Früchte in Alkohol eingelegt. Man lässt sie so lange ziehen, bis ein unvergleichlicher Geschmack entsteht. «Tradition ist uns sehr wichtig », sagt Oliver Matter. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Matter viele seiner Kreationen nach historischen Rezepturen – darunter auch Familienrezepte des Urgrossvaters – herstellt. So etwa beim Fernet frate del Angelico, den Matter in kleinsten Mengen nach einem handgeschriebenen Originalrezept produziert, das sein Urgrossvater in den 1930er-Jahren von einer bekannten italienischen Brennerei erworben hatte. Dieser wirklich sehr bittere und starke Bitter kann für sich allein getrunken werden, funktioniert aber ebenfalls als facettenreiche Alternative zu klassischen Cocktailbitters. Es sei zwar verlockend, ihn als Shot zu trinken, man sollte sich aber Zeit nehmen, die Komplexität von Fernet frate del Angelico ganz zu erleben, so Oliver Matter.