Freunde nennen den Hügel mit der fantastischen Rundsicht bei Dürrenroth einfach den «Blueberry Hill», denn hier oben steht eine der grössten und ältesten Heidelbeer-Anlagen der Schweiz. Der behäbige Bauernhof ist 170 Jahre alt und schon seit drei Generationen im Besitz der Familie Bracher. Die Leidenschaft für Beerenwein muss wohl im Erbgut der Familie verankert sein, denn schon der Vater des heutigen Besitzers versuchte aus Beeren Wein zu machen, allerdings mit eher zweifelhaftem Erfolg. «Er hat es gleich mit dem schwierigsten Beeri, dem Erdbeeri, probiert und das musste ja schief gehen», meint Peter Bracher, der heutige Besitzer des Hofs.
Er selbst kam 1989, also vor beinahe 30 Jahren, auf den Hof und entwickelte die Experimente des Vaters weiter. Auch er ohne weinfachliche Ausbildung: «Für mich war das ein Glück, denn so konnte ich mich über Versuch und Irrtum an die ganz eigene Welt der Beeren herantasten und war nicht vorbelastet durch die doch recht andere Welt des Weins aus Trauben.» Jede Beere habe ihre eigenen Eigenschaften, die man genau kennenlernen und respektieren muss, damit etwas Rechtes dabei herauskommt.
Heute stellt er sechs stille und vier schäumende Weine her. Bei jedem sucht er den ganzen Fächer des Beerengeschmacks zu öffnen: Der Erdbeerwein hat am wenigsten Säure und ist damit der lieblichste im Sortiment, am anderen Ende steht mit seiner rassigen Säure der Wein aus Johannisbeeren. Im Mittelfeld liegen die Weine aus Himbeeren, Heidelbeeren, Brombeeren und Holunderbeeren. Alle brauchen sie etwas Restsüsse, damit sich das volle Beerenaroma schön entfalten kann. Und genau da ist das Fingerspitzengefühl des «Kellermeisters» gefragt: Die Weine dürfen auf keinen Fall klebrig oder gar pappig werden. Sie brauchen nur so viel Süsse, dass sich die einmalige Aromatik der Beeren voll entfalten kann. Jedes Zuviel nimmt dem Wein die Leichtigkeit und Frische. «Jede Beere ist anders, ja jedes Jahr und sogar jede Lage, auf denen die Beeren reifen, muss anders behandelt werden. Es kommt auf den Pflückzeitpunkt an, den Gärverlauf und auf vieles mehr.»
Wenn Peter Bracher von seiner Arbeit erzählt, versteht man, dass sich darin die Erfahrung von drei Jahrzehnten Leidenschaft und Passion spiegelt.
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Annemarie Wildeisen: Beerenweine sind ja eher ein Nischenprodukt. Sind sie das zurecht oder steckt doch etwas mehr dahinter?Beat Koelliker: Heute strahlen die Beerenweine tatsächlich etwas vom Charme eines Schneewittchens aus. Das ist schade und es ist Zeit, das Mädchen ordentlich wachzuküssen. Sie sind einfach etwas in Vergessenheit geraten. Neugierige Weinliebhaber wissen ihre einmalige Frucht und Frische aber immer noch sehr zu schätzen und sie auch zu geniessen.
Bei welchen Gelegenheiten kann man denn eine solche Flasche öffnen und ausschenken?Am beliebtesten sind sie wohl als Aperitif. Jetzt an einem Sommerabend draussen im Garten, da können sie alle ihre Stärken ausspielen: die duftige Aromatik ausgereifter Beeren, die liebliche Süsse und die Frische der Frucht. Besonders Beeren-Schaumweine haben hier ihren grossen Auftritt.
Kannst du dir vorstellen, dass man Beerenweine auch zum Essen trinken kann? Sicher, auf jeden Fall. Ihre leichte Süsse sollte man aber eher mit etwas Salzigem kombinieren. So können sie eine wunderbare Spannung aufbauen etwa zu salzigem Käse oder zu einer Zvieriplatte mit Bündnerfleisch, Rohschinken und Speck.
Gilt das auch für Weichkäse wie Camembert? Das ist ja gerade der Punkt. Man kann mit der Vielfalt der Beerenweine wunderbar spielen: Bei einem cremigen Weichkäse würde ich eher einen feinen Erdbeerwein empfehlen und zu kräftigem reifem Käse einen rassigen Johannisbeerwein.
Mit einem Aperitif oder einem Zvieriplättli sind wir kulinarisch – bei allem Respekt – aber immer noch auf der eher harmlosen Seite. Können Beerenweine darüber hinaus auch bei einem Abendessen bestehen und eine eigene ernsthafte Rolle spielen? Ich glaube schon. Es lohnt sich auf jeden Fall, da ein bisschen kreativ zu werden und neue Dinge auszuprobieren. Zum Beispiel passt ein Wein aus Heidel- oder Brombeeren wunderbar zu einem Wildgericht, einem Rehpfeffer oder zu Hirschmedaillons. Etwas weniger mehrheitstauglich ist wahrscheinlich die Kombination mit einem Wein aus Holunderbeeren, deren spezielle Aromatik wohl nicht jedermanns Sache ist. Aber Probieren geht auch da über Studieren.
Etwas ganz anderes: Muss man diese Weine gewissermassen frisch ab Presse trinken oder kann man sie auch etwas lagern? Also ganz frisch ab Presse entfalten sie ihr Aroma noch gar nicht richtig. Zwei bis drei Monate nach der Kelterung sind sie jedoch bereits trinkreif. Dann können sie aber noch ein paar Jahre ohne Qualitätseinbusse im Keller liegen bleiben.